Elvis Has Just Left The Building
Elvis Has Just Left The Building – Frank Zappa (Broadway The Hard Way/1988)
Elvis has just left the building –
Those are his footprints, right here
Elvis has just left the building
To climb up that heavenly stair
Ich hätte nie im Leben damit gerechnet, dass mir Elvis ausgerechnet in Kuala Lumpurs China Town begegnen würde. Ehrlich gesagt gehöre ich zu den Menschen, die wirklich an seinen Tod geglaubt und sich damit auch abgefunden haben. So wichtig war er mir nun auch wieder nicht, obwohl ich einige seiner Songs schon ganz gut fand. Mein Vater nervte mich schon von frühester Kindheit an mit „Heartbreak Hotel“ und „Jailhouse Rock“, bis es mir irgendwann in Fleisch und Blut überging. Elvis gehörte fortan irgendwie mit zu meiner Kindheit, ob ich nun wollte oder nicht. Doch da saß er nun plötzlich vor mir, ziemlich angegraut und vor einer ziemlich leeren Flasche Whisky, auf der in bunten Buchstaben sogar sein Name aufgeklebt war: ELVIS! Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Die Beatles hatten Elvis getroffen, Led Zeppelin – und nun auch meine Frau und ich. Ehrlich gesagt sah das Etikett ziemlich albern aus, denn mit demselben gummiartigen Material bekleben in Deutschland die Kinder ihre Fensterscheiben. Aber Elvis war kurz vor seinem offiziellen Tod ja auch nicht mehr der Elvis, den die Welt haben wollte: Er war fett, soff wie ein Loch und zog sich täglich dicke Linien durch die Nase. Und ab und an verschenkte er sogar dicke Limousinen. Sein Geisteszustand ließ allmählich zu wünschen übrig und der Typ musste von der Straße, denn so konnte es im prüden Amerika nicht weitergehen! Was sollten die Leute denken? Das soll einmal der größte Popstar aller Zeiten gewesen sein? Der erste öffentliche Sexgott? Und die Musik? Wer wollte diesen Mist zum Schluss denn überhaupt noch hören? Da war keine Spur mehr von Sex und Rock’n’Roll und auch für Las Vegas reichte es vorn und hinten nicht mehr.
Doch je länger ich hinterher in aller Ruhe darüber nachdenke, desto besser gefällt mir die Idee, sich ausgerechnet in Kuala Lumpur zur Ruhe zu setzen. Wer würde ihn hier vermuten? Selbst Osama Bin Laden haben die Amis noch nicht gefunden. Wahrscheinlicher ist jedoch: Sie wollen niemanden finden, weder Elvis noch Osama. Und überhaupt: Das Klima stimmt, die Getränke billiger, die Mädchen sind wesentlich hübscher als zu Hause und auch der Dollar ist hier noch etwas wert.
Ich musste etwas ungläubig ausgesehen haben, denn plötzlich grinste er mich an und sprach mit leiser Stimme zu mir: „Setz ein freundliches Gesicht auf! Wir haben Grund zum Feiern!“
Elvis saß praktisch an unserem Tisch, an dem wir kurz vorher die noch einzig freien Plätze eingenommen hatten und ich konnte es einfach nicht glauben! Vielleicht deutete er unsere deutsche Zurückhaltung als Mut, weil nur wir es gewagt hatten, uns so mir nichts dir nichts einfach zu ihm zu setzen, während alle anderen Gäste in ehrfurchtsvollem Abstand Platz genommen hatten. Sein Hofstaat, bestehend aus einem großen, dicken Malaien und einem vielleicht einen Meter fünfzig kleinen, klapperdürren Chinesen, nickte wohlwollend in unsere Richtung. Gott hatte schließlich gesprochen und nur Gott persönlich gibt Audienzen wann und wo auch immer er dazu Lust hat. Wir fühlten uns geehrt durch so viel Entgegenkommen. Nach einem Lächeln hob der kleine Chinese dann noch einmal bedächtig die Hand und zeigte mit einer bedeutungsvollen Geste auf das Etikett auf der Flasche: Elvis!
War er so etwas wie ein Bodyguard? Er sah jedenfalls nicht danach aus, aber vielleicht hatte ich auch zu wenig über asiatische Kampfsportarten gelesen und über die Wunderdinge, die selbst solche Fliegengewichte zu leisten imstande waren.
Elvis hielt also Hof und wir durften dabei sein. Die gerade auf der Bühne musizierende Bluesband nickte ihm während ihres Sets immer wieder respektvoll zu und auch die anderen im Club anwesenden Musiker, die auf die etwas später stattfindende Session lauerten, kamen immer mal wieder vorbei, klopften ihm freundschaftlich auf die Schulter, flüsterten ehrfurchtsvoll ein paar Worte und gingen wieder. Zwischen jedem Gast nahm Elvis einen kräftigen Zug aus seiner persönlichen Flasche. Dem Inhalt nach zu urteilen dürfte er nicht länger als eine halbe Stunde hier sein. Wir kamen also wohl gerade rechtzeitig.
Elvis selbst sprach nicht, er machte nur hin und wieder eine Kopfbewegung, die entweder Zustimmung oder Abneigung ausdrückte. Wir konnten wirklich froh sein, dass der wohl einzige Satz, der ihm an diesem Abend überhaupt über die Lippen kam, uns galt. Wir bildeten uns allerdings nichts darauf ein, denn schließlich waren wir Ausländer, waren das erste Mal in dieser Bar und besaßen damit so etwas wie einen Sonderstatus.
Mittlerweile sah er recht mitgenommen aus und der Alkohol begann seine Wirkung zu zeigen. Aber er tat mir auch nicht leid, denn schließlich gibt es nicht mehr viele Musiker in seinem Alter, mal abgesehen von Keith Richard, die eine ganze Flasche Whisky am Abend allein niedermachen können, ohne dass man es ihnen ansieht. Doch der herbeieilende Kellner, der zur Abwechslung einmal etwas Bier bringen wollte, wurde nur mit einer rüden Kopfbewegung zurechtgewiesen. Elvis und Bier! Das war schließlich Majestätsbeleidigung auf allerhöchstem Niveau. Wusste der Kellner denn nicht, dass die Todesstrafe in dieser Gegend noch nicht abgeschafft war?
Doch der viele Alkohol in der viel zu kurzen Zeit machte dem King nun sichtlich zu schaffen, denn plötzlich sprang er auf, ging wortlos nach draußen an die frische Luft und ließ den entsetzten Hofstaat allein mit uns am Tisch zurück.
He gave away Cadillac’s once in a while
Had sex in his underpants
Yes, he had style!
Bell-bottom jump-suits?
That’s them in a pile
But he don’t need’em now
‘Cause he’s makin’ Jesus smile!
Doch wir verteidigten unsere Plätze, denn der Abend war noch steigerungsfähig, das hatten wir im Gefühl. Und mittlerweile wurde die Bluesband lautstark dazu verdammt, Publikumswünsche zu erfüllen: „Pink Floyd! Pink Floyd!“ und „Wish you where here!“
Ich habe ja schon viel erlebt, was Blueskonzerte angeht, aber das hier ging eindeutig zu weit! Langweilige Gitarrensolos, Weiße, die versuchen wie Schwarze zu klingen – okay! Mundharmonikas, die permanent in der falschen Tonart dazwischen hupen, die obligatorisch glühende Marlboro hinter dem Steg der weißen Jimi Hendrix-Stratocaster-Kopie – auch immer wieder lustig! Aber ausgerechnet Pink Floyd? Selbst Neil Youngs „Hey Hey My My“ hätte hier besser hergepasst, allein schon wegen der Zeile „The King is gone, but he’s not forgotten!“
Elvis interessierte das alles nicht die Bohne, er rauchte vor der Tür und versuchte wieder einen klaren Kopf zu bekommen und hatte das Singen wohl zwischenzeitlich auch aufgegeben. Schade eigentlich, ich hätte meinem Vater gern erzählt, dass ich „Jailhouse Rock“ nun endlich auch einmal live gehört hätte. Die Band weigerte sich unterdessen immer noch tapfer, Songs von Pink Floyd spielen zu müssen, aber wie es immer so ist: Das normale Volk meint in den meisten Fällen, die Musiker hätten es einfach nicht drauf, weil die Nummern zu schwierig wären. Volkes Wille war einfach nur lächerlich. Doch anstand standhaft zu bleiben und die Wünsche zu ignorieren, beging der Gitarrist den schwerwiegenden Fehler, als Zeichen seiner Kunstfertigkeit die ersten Takte von „Wish you where here“ anzuspielen, um ein paar Takte später wieder in ein Bluesthema zu wechseln. Jetzt reichte es dem aufgebrachten Volk und ein volltrunkener Malaie aus Elvis Hofstaat ergriff als erster die Initiative und wollte dem Herrn Gitarristen das Instrument entreißen, was dieser jedoch zu verhindern wusste, denn schließlich glühte seine Marlboro noch am Steg. Sein nächstes Opfer wurde schließlich der Bassist, der sich kampflos ergab, währenddessen zwei ebenfalls nicht mehr ganz nüchterne Engländer den Schlagzeuger vertrieben und auch das zweite Mikrofon übernahmen. Der Blues mündete schließlich in eine 15 Minuten-Fassung von „Wish you where here“ und die Session war damit eröffnet.
Das Volk tobte und hatte nun endlich seinen Willen. Nun wurde es wirklich spannend, denn auch die Damen, die man von Ferne im Halbdunkel der Theke nur schwer erkennen konnte, wollten ihren Spaß und stürmten unter großem Hallo die Tanzfläche. Eine unglaublich aufgetakelte Rothaarige, die der Größe nach zu urteilen auch in irgendeiner Basketball-Nationalmannschaft eine gute Figur abgegeben hätte, steuerte zielgerichtet auf unseren Tisch zu. Ich wurde leichenblass, denn schließlich waren außer mir nur noch meine Frau und der chinesische Samurai zugegen, Elvis kotzte sich derweil draußen die Seele aus dem Leib, während sein malaiischer Leibwächter zu musizieren versuchte. „Oh Gott, bitte verschone mich!“, sendete ich ein kurzes Stoßgebet, während sich ein tiefes, basslastiges „Would you like to dance with me?“ in mein Ohr bohrte. Das musste die Tochter von Tom Waits sein! Nein! Niemals würde ich tanzen. Ich bin der geborene Nichttänzer und selbst bei einer mexikanischen Hochzeitsgesellschaft hatte ich es schließlich geschafft, unter Aufbietung meiner letzten Kraftreserven, dass der Kelch noch einmal an mir vorüber ging! Nur über meine Leiche! Doch die Basketball-Frau war nicht sauer über meinen Korb und schnappte sich stattdessen kurzerhand den kleinen Chinesen, der keine Anstalten machte sich zu wehren.
Auf der Bühne ging es zu wie auf der Auswechselbank eines Eishockeymatches, wahrscheinlich bestand der ganze Laden nur aus Musikern, die nun auf der Bühne versuchten, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Das Ergebnis klang wie ein schlechtes Oldie-Radioprogramm und Lynyrd Skynyrd, Bob Dylan und Neil Young gaben sich permanent die Klinke in die Hand. Würde Elvis vielleicht doch noch ins Geschehen eingreifen um das Ruder endgültig herumzureißen?
Ich ging nach draußen um zu sehen, ob er sich inzwischen wieder etwas erholt hätte. Und da stand er nun und lächelte mich vielsagend an.
Elvis has just left the building –
Those are his footprints, right here
Elvis has just left the building
To climb up that heavenly stair
Er sang es ganz leise und starrte dabei den Vollmond an, ganz wie Werwölfe es tun, kurz bevor sie ihre Opfer schlagen. Dann schnappte er sich zwei der umherstehenden Mädchen, blickte ihnen tief in die Augen und ließ sich künstlich beatmen, währenddessen er mit seiner freien Hand nach einem Taxi winkte. Elvis, die Welt hat dich wieder, dachte ich mir und grinste ihn an. Er grinste zurück und flüsterte:
„Heartbreak Hotel, you know?“
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