Crosstown Traffic
Crosstown Traffic – The Jimi Hendrix Experience (Electric Ladyland/1968)
You jump in front of my car when you
You know all the time that
Ninety miles an hour, girl, is the speed I drive
You tell me it’s alright, you don’t mind a little pain
You say you just want me to take you for a ride
Es gibt ja Leute die behaupten, eine Strecke gilt erst dann als wirklich zurückgelegt, wenn man sie zu Fuß bewältigt hat. Das mag sicherlich richtig sein, wenn man Bergsteiger oder Marathonläufer ist oder gern wandert. Für mich galt das früher auch für das Trampen, jedenfalls so lange eigene Autos noch unbezahlbar waren. Heute hingegen reist man mit dem Billigflieger preisgünstig von A nach B, nimmt sich anschließend am Flughafen einen Mietwagen und ist binnen von 24 Stunden an den entlegensten Orten der Welt. Die Welt schrumpft auf die Größe eines Fußballs. Dass an dieser Behauptung trotzdem etwas Wahres dran ist möchte ich gar nicht bestreiten, denn nur so kann man sich, manchmal auch nur unter Schmerzen, seinen Weg erkämpfen und – was wohl das Wichtigste dabei ist – zugleich eine Unmenge Gleichgesinnter kennenlernen.
Für Südostasien scheint diese Behauptung trotz allem nicht zu gelten, denn wer sich hier freiwillig zu Fuß fortbewegt ist entweder ein Irrer, ein Extremsportler oder ein Tourist. An meinem ersten Abend in Petaling Jaya, einem Vorort von Kuala Lumpur, in dem wir gerade unsere neue Wohnung bezogen hatten, waren wir zu Fuß zu einem indischen Restaurant unterwegs, welches sich knappe 2 Kilometer von unserem Haus entfernt befand. Einmal den Berg hinunter und dann nur ein kurzes Stück die Hauptstraße entlang. Nach mehr als 12 Stunden unter der Obhut von Malaysia Airlines hatten wir irgendwie das Gefühl uns bewegen zu müssen, trotz der immer noch grob geschätzten 30 Grad Celsius nach Einbruch der Dunkelheit. Wir befanden uns noch keine 50 Meter auf der Hauptstraße, als auch schon das erste Taxi hielt. Nicht etwa, weil wir es uns inzwischen anders überlegt und gewunken hätten, sondern aus purem Mitleid. Wir könnten mitkommen, auch umsonst, denn niemand wäre hier freiwillig zu Fuß unterwegs. Ich winkte freundlich ab, doch erst jetzt fiel mir auf, dass es hier überhaupt keine Bürgersteige gab. Wir liefen die ganze Zeit auf so etwas wie einem befestigten Wall, der wohl eher die Aufgabe hatte, bei schweren Unwettern die Wassermassen abzuleiten, als ein sicherer Weg für die Fußgänger zu sein. Warum stellte ich ziemlich schnell fest: Es gab nämlich überhaupt keine Fußgänger und nur europäische Neulinge taten sich dieses Abenteuer an. Doch wir wollten laufen – und zwar hin und zurück! Wie anders könnte man denn, jedenfalls am Anfang, Südostasien erkunden?
Ganz klar: Mit dem Moped natürlich. Was für China und Vietnam früher das Fahrrad war, ist für viele Länder hier mittlerweile das Moped geworden. Billig, schnell und nahezu unkaputtbar. Es gibt hier zwar auch ein paar Motorräder, aber die sind eher ein Zeichen für gehobenen Wohlstand und nebenbei für die rush hour in asiatischen Großstädten völlig ungeeignet. Wenn man als Europäer auf den Kontakt zur einheimischen Bevölkerung hofft, dann sind diese Kisten mit ihren 120 ccm die beste Möglichkeit dazu.
You’re just like crosstown traffic
So hard to get through to you
Crosstown traffic
I don’t need to run over you
Crosstown traffic
All you do is slow me down
And I’m tryin’ to get on the other side of town
Das Verkehrsgewusel in Asien ist atemberaubend, wenngleich sich der Verkehr in Kuala Lumpur im Gegensatz zu Städten wie Jakarta oder Bangkok ja eher bescheiden ausnimmt. Doch für einen Europäer ist das allemal Abenteuer genug, zumal wenn man wie ich das erste Mal auf solch einer Kiste sitzt. Ich kaufte mir wenige Wochen nach unserem Umzug also eine gebrauchte Suzuki, eine dieser typisch malaysischen Öfen, bei denen man einen Einkaufskorb zwischen den Knien spazieren fährt, übte ein paar Mal auf unbefahrenen Seitenstraßen und stürzte mich anschließend todesmutig ins Gewühl. Ein alter Psychologentrick besagt ja, dass man Ängste nur mit Ängsten bekämpfen kann und so fand ich mich 2 Tage später auf der Jalan Sultan Ismail, mitten in der City von Kuala Lumpur, in einem Pulk von vielleicht 50 auf „Go!“ wartenden Bikern wieder. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich auf einem Moped gesessen, mal abgesehen von ein paar bedauerlichen Versuchen in frühester Jugend, die alle katastrophal geendet hatten. Aber hier fühlte ich mich auf Anhieb wohl, so als hätte ich zuvor nie etwas anderes getan. Ich begann die Kiste irgendwie zu lieben.
Immer wenn ich auf meinem Moped saß und in die Stadt fuhr, musste ich an unsere Fahrten mit dem Bandbus denken und die Situationen die es gab, wenn wir als Berliner Band, standesgemäß in unserem abgeranzten Ford Transit undefinierbaren Baujahres und dem entsprechenden Nummernschild mit dem großen „B“ am Anfang, einmal mehr in die süddeutsche Pampa einliefen. Unentwegt beobachteten die Bauern unsere Kiste mit Argusaugen und traten an der Ampel noch einmal heftig das Gaspedal ihrer getunten Opel Kadetts und tiefergelegten Golf GTI’s bis zur Bodenplatte durch, um uns zu zeigen, wem hier die Straße gehörte. Ständig stand man im Mittelpunkt und das mit einem Gefährt, welches einem Berliner Polizisten kaum mehr als ein mitleidiges Lächeln entlocken konnte.
In Kuala Lumpur hingegen wurde man angestarrt, weil man als „white guy“ mit vermutlich dicker Brieftasche auf einem landestypischen Modell daherkam, obendrein noch in einem ärmellosen T-Shirt und mit billigen Badelatschen vom Chinamarkt. In den Touristengegenden von Bali oder Thailand möge das ja noch angehen, aber hier in Malaysia? Doch man erntete stets auch ein Lächeln und ein zustimmendes Nicken, wenn man sich nach einer Weile traute, sich doch in die Nähe der Pool Position an der Ampel vorzuwagen, ohne gleich den erstbesten Mercedes-Spiegel auf dem Gewissen zu haben.
Ich hatte mich als Anfänger geoutet, den man gern im Abgasnebel stehen ließ und es dauerte ein paar Wochen bis ich darauf kam, warum die Mopedfahrer hier ausschließlich umgedrehte und nach hinten offene Windjacken trugen. Ich hatte bis dato mein kurzes T-Shirt für die angemessene Bekleidung gehalten, weil so der Fahrtwind in diesem tropischen Klima für etwas Abkühlung sorgte. Die malaiische Windjackenmode hingegen sah doch sehr daneben aus und weder in Indonesien noch in Thailand hatte ich ein derart bescheuertes Outfit beobachten können. Doch mein erster heftiger Sonnenbrand nach einer etwas längeren Tour in die Berge belehrte mich kurze Zeit später etwas Besseres.
Mit der Zeit perfektionierte ich meinen Fahrstil und passte mich den örtlichen Gegebenheiten immer mehr an, wobei es allerdings ein paar Regeln zu beachten galt:
Regel Nr.1: Blinke niemals – unter keinen Umständen – denn damit gibst du dich als blutiger Anfänger zu erkennen. Außerdem irritiert man damit die anderen Verkehrsteilnehmer aufs Äußerste, denn sie gehen ohnehin davon aus, dass du nur zufällig den Blinkgeber berührt hast und dein Vorhaben nicht wirklich ernst meinst!
Regel Nr.2: Ignoriere grundsätzlich alle Vorfahrtsregeln. Hier herrscht zwar Linksverkehr und es gilt wie überall auf der Welt „Rechts vor Links“ – aber das steht nur auf dem Papier und interessiert hier wirklich niemanden. Wenn dir also ein 40-Tonner die Vorfahrt nimmt, dann warst du definitiv zu langsam!
Regel Nr.3: Straße beobachten! Eigentlich tut man das ja ohnehin, aber hier in Asien sollte man grundsätzlich auf das Äußerste gefasst sein! Wo gestern Abend noch ein Gullydeckel war, ist heute Abend eben keiner mehr – und auch in den nächsten Wochen nicht. Man steckt einfach ein paar Palmenzweige oder Bretter in die Öffnung, um Gefahr zu signalisieren. Der Grund der fehlenden Deckel? China braucht Stahl und ist gerade dabei, sämtliche Vorräte der Welt aufzukaufen. Also ist der Gullydeckelklau zu einem einträglichen Volkssport geworden – und man kann sich leicht den einen oder anderen Ringgit dazuverdienen. Neulich lag sogar ein Laternenmast mitten auf der Straße, was niemanden weiter interessierte, denn solange Platz ist, fährt man einfach Drumherum. Das kann allerdings nachts, wenn man es etwas eiliger hat, zu ernsthaften Komplikationen führen. Dazu kommen, insbesondere in der Regenzeit, gigantische Schlaglöcher.
Überhaupt ist die Regenzeit die beste Zeit um Freundschaften zu schließen. Ein normaler Regenguss bringt hier niemanden aus der Ruhe oder gar von der Straße. Erst wenn es richtig heftig wird – in Deutschland würde man dann wohl von „orkanartigen Niederschlägen“ sprechen – hält man an und trifft sich unter den Autobahnbrücken oder sonstigen trockenen Flächen. Dann werden die Klamotten gewechselt, Zigaretten ausgeteilt und man kommt ins Gespräch. Es kann mehrere Stunden dauern, aber niemand macht hier Stress. Ganz im Gegenteil: Man raucht so lange, bis die Schachtel leer ist, diskutiert über Manchester United, Chelsea oder Arsenal London und lernt nebenbei ein paar Brocken Bahasa Malaysia.
I’m not the only soul who’s accused of hit and run
Tire tracks all across your back
I can see you had your fun
But darlin’ can’t you see my signals turn from green to red
And with you I can see a traffic jam straight up ahead
Vor ein paar Tagen suchte ich mir im Zentrum von Kuala Lumpur einen Parkplatz. Um ganz sicher zu gehen, stellte ich meine Kiste auf einen freien Platz in einer langen Reihe anderer Mopeds auf den Bürgersteig, zahlte meine 2 Ringgit Parkgebühr und setzte mich ins Cafe. Eine Stunde später fand ich einen Strafzettel wegen Falschparkens an meinem Lenker. Ich suchte also den fraglichen Parkplatzwächter und fragte ihn, wozu ich denn eigentlich das Geld bezahlt hätte. Nun ja, antwortete er, er passe nur darauf auf, dass die Mopeds nicht gestohlen würden und merke sich dafür die Gesichter. Aber für das Parkverbot auf dem Bürgersteig könne er auch nichts, das wisse doch jeder. Die 70 Ringgit Strafe könne ich im Übrigen gleich direkt nebenan bei der Polizei bezahlen. Außerdem müsse ich das Ganze positiv sehen, denn nun könne ich das Moped ja auch stehen lassen – und falls noch jemand von der Polizei käme, dann würde er Bescheid geben, dass ich gerade beim Bezahlen wäre…
Umgerechnet knappe 15 Euro für eine Stunde parken, das war ziemlich viel Lehrgeld, besonders für malaysische Verhältnisse. Dann frag doch einfach mal nach Rabatt, meinte er mit einem Grinsen, das macht doch jeder hier! Ich ging also schnurstracks zur Polizei und reihte mich in die lange Schlange der Wartenden ein. Und siehe da: Vor mir standen Leute mit ganzen Stapeln von Strafzetteln – und alle handelten Rabatte aus. Es ging zu wie auf dem Basar, ich konnte es kaum glauben. Endlich war auch ich an der Reihe:
„Officer, 70 RM is a lot of money for the first time!”
Er grinste schelmisch.
“Okay! What would you pay me?”
“35 RM, is it okay?”
“Mmh… give me 40 RM… and we will forget it!”
Ich zahlte und wir grinsten uns an.
„Selamat jalan my friend!“
Ja, gute Fahrt!
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