Der Feuerunfall
4.Kapitel: 1999 – Und alles wird ganz anders!
Für das große Capitol luden wir uns unsere tschechischen Ritter wieder ein, mit denen wir hin und wieder schon ein paar Bühnenshows veranstaltet hatten. Im letzten Drittel des Konzertes hatten wir vor, eine Art Schaukampf zu veranstalten, an dessen Ende Micha im Rahmen seines Feuerspuckens den benzingetränkten Umhang eines der Ritter entzünden sollte. Bis dahin ging alles gut. Doch kaum hatte Micha auf den Mantel gespuckt, gab es einen mächtigen Rückschlag – der Typ hatte seinen Mantel dermaßen getränkt, dass man damit hätte ein Hochhaus in die Luft hätte sprengen können! Der Ritter taumelte orientierungslos über die Bühne, währenddessen Micha, mittlerweile wieder am Mikro, versuchte, ihn von sich wegzustoßen. Doch beide prallten zusammen und Micha stand Dank des Benzins in Flammen. Wir standen unterdessen auf unseren Podesten und konnten nichts tun. Micha stürzte hinters Schlagzeug zur Backstagetür und versuchte, das Bad zu erreichen. Gott sei Dank waren Leute vom Roten Kreuz in der Nähe, die ihm halfen. Wir standen noch völlig geschockt auf der Bühne und wussten nicht so recht was passiert war. Thomas reagierte als erstes und organisierte alles Weitere. Wir brachen das Konzert an dieser Stelle ab, Micha kam ins Krankenhaus und alles stand wieder in den Sternen…
Das Letzte Einhorn: Der brennende Ritter (Toni) sollte nach drei Umdrehungen von der Bühne verschwinden, wo schon ein Löschtrupp auf ihn wartete. Doch Toni drehte und drehte sich sechs, sieben Mal und lief anschließend völlig orientierungslos auf der Bühne umher. Ich ging in Richtung meines Mikrophons, damit er mich nicht sehen konnte und damit er wissen sollte, dass es vorbei war. Das alles war vorher natürlich x-Mal abgesprochen worden: 3 Mal und dann weg! Doch Toni kam stattdessen auf mich zu und ich verfing mich in seinem brennenden Mantel. Ein Schmerz durchzuckte mich und ich versuchte, Toni mit meinem linken Arm von mir zu stoßen. Ich lief dann völlig geschockt in den Backstage, der ca. 15 Meter entfernt war. Im Backstage erst merkte ich, dass mein linker Arm noch brannte. Ich ging sofort unter die kalte Dusche, um mich zu löschen. Backliner Micha Wegewitz kam nach hinten und ich schrie ihn an, dass es weiterginge, dass die Band weiterspielen solle, da ich gleich wieder zurückkäme. Dann wurde mir schwarz vor Augen und ich brach zusammen. Zwei Minuten später wachte ich auf und sah nur noch weiße Kittel, die mich nach draußen, wo bereits der Krankenwagen wartete, bringen wollten. Im Hintergrund hörte ich lautes Klatschen und ich schrie: „Haut ab hier – ich muss wieder auf die Bühne!“ Dann lag ich schon im Krankenwagen und wehrte mich gegen Kanülen und Schläuche. Ich schrie nur „Lasst mich hier raus!“ und stand unter Schock.
Aufgewacht bin ich am nächsten Tag in der Intensivstation eines Krankenhauses in Ludwigshafen. Ich wusste gar nicht, wo ich bin! Neben mir war ein Vorhang, hinter dem ich immer nur hörte: „Ich will ficken! Ich will euch alle ficken!“ Die Stimme kam von einem Schwerstverbrannten, der sich scheinbar einen Scherz mit den Schwestern machen wollte.
In diesem Moment ging die Tür auf und meine Caren kam mit den Schwestern herein. Also alles in Ordnung – Ich lebe! Doch ich hatte noch nie im Leben solche körperlichen Schmerzen. Wie geht es weiter? Bist du entstellt?
Nach zwei Tagen Intensivstation wurde ich in das Eschweiler Krankenhaus in der Nähe von Aachen überstellt, in dem ich noch weitere 10 Tage verbringen musste. In diesem Krankenhaus wurde ich mit heißem Wasser noch einmal verbrannt – ich musste mit einem Lappen im Mund in eine 42 Grad heiße Badewanne steigen. Dieses macht man, wenn noch etwas zu retten ist. Gleiches mit Gleichem! Heute bin ich dankbar dafür! Dadurch hat sich alles schneller regeneriert. Meine Haare waren fast alle verbrannt, mein Gesicht, besonders die Ohren, mein kompletter Rücken und ganz besonders der linke Arm. Durch diese zweite Verbrennung im Krankenhaus musste zum Glück keine Haut transplantiert werden.
Drei Wochen später hatten wir in Dresden ein Konzert, bei dem ich darauf bestand, wieder Feuer zu spucken! Sonst hätte ich es wohl nie wieder getan. Hiermit noch einmal ein riesiges Dankeschön an all diejenigen, die mich besucht haben, für die vielen Zuschriften und für das Verständnis der vielen Leute im Mannheimer Capitol. Und an die Band, die mich hoffen ließ!
Aus dem In Extremo-Fanzine: … Nun fehlte nur noch Michas Feuerspucken! Micha und ein Ritter mit Umhang pöbelten sich auf der Bühne gegenseitig an, der Ritter schubste Micha weg und dieser rollte sich gekonnt ab! Michas Attacke folgte auf dem Fuße und er spuckte den Ritter an, so dass dieser lichterloh brannte!! Eine sehr beeindruckende Szene.
Leider passierte zu diesem Zeitpunkt ein schlimmer Unfall! Micha verfing sich im brennenden Umhang und rannte dann irgendwie von der Bühne in den Backstagebereich! Als Micha nach einer Minute noch nicht zurück auf der Bühne war, war uns allen klar, dass etwas Schlimmeres passiert sein musste!
Die anderen spielten tapfer noch ein weiteres Stück, welches dann von Thomas unterbrochen wurde. Er teilte allen mit, dass das Konzert abgebrochen werden muss, weil Micha sich schlimme Verbrennungen zugezogen hat und sofort ins Krankenhaus muss. Jeder konnte merken, wie schwer Thomas diese Ansage fiel!!! Aber das Publikum reagierte phantastisch. Erst wurde es ganz still und dann entbrannte donnernder Applaus! ALLE ACHTUNG!!! Aber man merkte: Der Schock und die Sorge um Micha saß allen ganz schön im Nacken. Ein wirklich unschönes Ende für ein bis dahin phantastisches Konzert! 1000 Grüße, Manuela
(In Extremo Fanzine 2/99)
Auf unserer Homepage fanden wir dann auch noch die folgende Nachricht:
„Hallo In Extremo-Fans! Ich habe mich mal auf Eurer Seite umgesehen und selbstverständlich auch die vielen Genesungswünsche an Micha gefunden, denen wir uns selbstverständlich anschließen. Als die „Hausherren“ vom Capitol (…) möchten wir noch anfügen, dass wir gerne öfter so verständnisvolle und „anständige“ Fans wie die von In Extremo im Haus hätten. Einfach toll, wie 800 Menschen auf den Unfall und den anschließenden Abbruch des Konzertes reagiert haben. Das verdient Respekt, und den nicht zu knapp. Ich selbst habe die ganze Chose auch von der Empore aus verfolgt und war geschockt von dem was passiert war. Da hätte uns eine Panik gerade noch gefehlt… Also noch mal: Danke für Eure Kooperation an jenem Abend, Euer Verständnis und an Micha „Gute Besserung“ von Herzen. Ralph vom Capitol am 31.3.99“
Es war ein Zeitpunkt, an dem wir alle dachten, das wäre das endgültige Aus für die Band. Die Nachrichten aus der Intensivstation, von Michas Frau Caren aus dem Krankenhaus überbracht, gaben uns nicht gerade Anlass zu großer Hoffnung. Doch keine drei Wochen später waren wir wieder auf Tour. Micha war echt ein Steher, das musste man ihm lassen. Er sah zwar immer noch schrecklich aus, aber um sich die Angst vor dem Feuer zu nehmen, spuckte er gleich beim ersten Konzert wieder große Flammen.
Etwa zur selben Zeit meldete sich mal wieder ein Berliner Magazin, das dem „Mittelalterwahn“ so gar nichts abgewinnen konnte. Ja, die Berliner konnte eben noch nie sonderlich viel mit den eigenen Bands anfangen – und schon gar nicht mit den Ostdeutschen:
„Bands wie In Extremo, Subway To Sally oder (…) Spielwut stülpen dem Mittelalter willkürlich und unreflektiert eine Punk-, Metal- oder Industrial-Zipfelmütze über. Kaum haben sie das getan, wähnen sie sich im Kontext einer Zeit, da der Wald noch tief und der Satan noch böse war. Hauptsache, man bringt ein paar Dudelsäcke und Schalmeien zum Jaulen, hüllt sich in weite Gewänder, lässt Muskeln spielen, in den Texten Totenköpfe rollen und Blut spritzen, gibt sich derb, versoffen und unflätig. Was am Ende rauskommt, ist nichts anderes als Düsterkitsch und Scheiterhaufen-Romantik, die sich an denselben Quellen laben wie die Blut-und-Sperma-Derwische von Rammstein (…). Die komplizierten Denk- und Verhaltensweisen jenes zerklüfteten Komplexes, den wir heute als Mittelalter bezeichnen, werden in einem Fass schwarzem Hefeweizen ersäuft. Wenn sich In Extremo beispielsweise über Walther von der Vogelweides wundervolles Palästinalied hermachen, ist das etwa so peinlich, wie wenn die Wildecker Herzbuben Jazz-Standards covern oder Guildo Horn Roy Black. Es ist weder lustig noch kernig, sondern einfach nur schlecht.“.
(Wolf Kampmann in Tip 2/99)
In diesem Jahr sollten wir zum ersten Mal seit Bestehen von In Extremo keine komplette Mittelaltersaison mehr spielen, wir beließen es auf ein paar einzelne Märkte – die Rockband war uns mittlerweile wichtig geworden. Also gab es im Frühjahr nur einen Markt am 1.und 2. Mai auf Schloss Homburg in Nümbrecht und einen Auftritt auf dem Wuppertaler Mittelaltermarkt.
Spätestens bei diesem Auftritt in Wuppertal merkten wir, dass es so nicht mehr weitergehen konnte: Vor der Bühne drängten sich an die 3000 Leute, die unser Akustikprogramm sehen wollten, doch schon 10 Meter von der Bühne entfernt war schon kein Ton mehr zu vernehmen. Was sollte das also alles noch? Was sollten wir machen? Hier gab es die erste Idee, uns zukünftig auch auf den Märkten elektrisch zu verstärken. Es hatte einfach keinen Sinn mehr, nur noch 3 Dudelsäcke und die Pauke hören zu können und der Rest ging einfach im Nirvana unter. Wir mussten eine Entscheidung fällen: Wir können einfach keine rein puristischen Konzerte mehr geben, höchstens an ausgesuchten Orten wie dem Innenhof des Wäscherschlosses in Wäschenbeuren! Es macht einfach keinen Sinn mehr! Schluss! Wir würden den Rest der Veranstaltungen noch über die Bühne bringen, aber dann müssten wir ernsthaft einen neuen Plan machen. Doch erst einmal konnten wir unser Rockprogramm auf dem diesjährigen „Festival der Spielleute“ vorstellen, dieses Mal sogar ohne das Akustikprogramm.
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