2002: Die Lebensbeichte

7.Kapitel: 2002 – Die Lebensbeichte

Es war zwar noch nicht so ganz die Zeit für die Beichte (wer hätte die uns auch guten Gewissens abnehmen sollen?), aber nach 5 Jahren mit In Extremo als Rockband, nach 3 Studio- und 3 Akustikalben und unzähligen Konzerten konnte man schon mal Rückblick halten. So kam es auch, dass für 2002 geplant wurde, eine Live-DVD herauszubringen. Doch erst einmal gönnten wir uns eine 8wöchige Auszeit und taten einfach mal rein gar nichts. Ich musste ohnehin noch alle 3 Wochen zur Chemotherapie und hatte andere Dinge im Kopf – da kam mir der „Urlaub“ ganz gelegen.
Für den 22.Februar wurden wir zu einem ganz besonderen Konzert eingeladen: Der Berliner „Knaack-Klub“ wurde 50 Jahre alt, ein wirklich biblisches Alter für einen Rockladen. Und da jeder von uns dort in den vergangenen Jahren mit den unterschiedlichsten Bands aufgetreten war, sagten wir natürlich zu. Und es sollte noch zwei Überraschungen geben: Als Vorband für In Extremo sollten Tausend Tonnen Obst auftreten und es würde unser erstes In Extremo-Zivilkonzert werden.
Reiner und ich hatten unterdessen mit den Obst-Proben zu tun – das Songmaterial war nun nicht gerade das Einfachste und der letzte Auftritt lag ja nun auch schon wieder Lichtjahre zurück. Doch für ein 45 Minuten-Programm sollte es wohl reichen. TTO wurden abgefeiert wie eigentlich nie zu Lebzeiten der Band – es war schon ein komisches Gefühl, dass die Band dafür erst zur Underground-Legende mutieren musste – doch dabei wollten wir  es vorerst auch belassen. Dann stiegen wir mit In Extremo in zivil auf die Bühne und rockten wie in den Anfangstagen der Band – ohne Sender, ohne Sampler und Hard Disk-Recorder – In Extremo pur. Und es zeigte uns, dass wir es trotz allem nicht verlernt hatten, unsere Ansprüche ganz herunterzuschrauben und uns auf das Wesentliche, die Musik, zu konzentrieren.
In den Februar-Heften der Musikzeitschriften war dann auch schon wieder Poll-Zeit, die Auswertungen des vergangenen Jahres wurden veröffentlicht und In Extremo durften sich wieder über vordere Plätze freuen – dieses Mal im „Hammer“: Für „Sünder ohne Zügel“ gab es einen 10.Platz bei den „10 Besten Alben des Jahres 2001“, Platz 9 für „Bestes Cover“, einen 5.Platz für das „Beste Konzert“ und gar einen 2.Platz für „Vollmond“ als  den „Besten Song“ – eingepackt zwischen System Of A Down und Rammstein. Dazu kam ein 3.Platz für „Vollmond“ und ein 2.Platz für „Sünder ohne Zügel“ in den „Hammer- & MDR Sputnik-Charts“. Wow, wir waren echt sprachlos. In derselben Ausgabe des „Hammer“ konnten sich die lieben Autoren in ihrem Jahresrückblick auch einen kleinen ironischen Seitenhieb auf  Eric Fish, seines Zeichens Sänger von Subway To Sally, nicht verkneifen, den sie noch einmal mit der Aussage zitierten „dass In Extremo weit davon entfernt sind, musikalische Klasse zu besitzen…“! Na gut, wollen wir es mal dabei belassen und nicht das Kriegsbeil ausgraben – ein bisschen gesunde Konkurrenz konnte ja beiden Bands nicht schaden. Ich für meinen Teil freute mich, dass beide Bands, Subway To Sally und In Extremo, für den „Echo 2002“ im März nominiert wurden, hieß das doch letztendlich, dass diese Musikrichtung – wie immer man sie nun auch nennen mag – seinen Platz gefunden hatte und nicht mehr nur müde belächelt wurde. Daran hatten sicherlich auch Subway To Sally, wie auch die Inchtabokatables in der Vergangenheit, einen nicht unwesentlichen Anteil.
Apropos Echo-Verleihung: Wir haben uns natürlich sehr gefreut über die Nominierung, wir wussten das aber auch einzuordnen. Es war ja schon im Vorfeld klar, wer gewinnen würde  und so hielt sich die „Überraschung“ auch in Grenzen – das einzige Kriterium für die Preisvergabe war (und ist) natürlich schlicht und einfach der schnöde Mammon, sprich die Anzahl der verkauften  CDs und so „noangelte“ man sich eben durch die Veranstaltung. Die Plattenindustrie feierte sich mal wieder selbst: Jedes Land ehrt schließlich die Musik, die es auch verdient. Einzig Rammstein und Seeed ließen ein bisschen Licht am Horizont erkennen. Aber im Gegensatz zur GAMA-Verleihung ist der „Echo“ eben die gehobenere Schulterklopf-Veranstaltung. Aber hier wie da beginnt der interessante Teil erst nach dem offiziellen Teil – alles wartet auf die Aftershow – Party: Hier wird bis zur Gesichtslähmung gesoffen, hier werden die suuuuuperwichtigen Kontakte geknüpft und vor allem die suuuuuuuperwichtigen Versprechungen gemacht. „Das nächste Ding mit euch ziehen wir aber gleich weltweit auf, Jungs!“ Aha! Es ist wohl immer und überall das gleiche! Wahrscheinlich weltweit!

Lebensbeichte

Schäume nur, mein wildes Herz
In des Zornes Wehen
Bin aus leichtem Stoff gemacht
Muss wie Luft vergehen
Ohne Schiffer treibt mein Kahn
Auf des Meeres Spiegel
Niemals fesselt mich ein Band
Riegelt mich ein Riegel
Suchte meinesgleichen
Fand nur Sünder ohne Zügel

Zeigt der Sinn so wie ich wirklich bin
Lenkt der Sturm mich stets woanders hin
Trügt der Schein, ich kehre niemals heim
Am festen Band und bin dann doch allein

In der Schenke sink ich einst
Gern im Tode nieder
Und im Becher spiegelt sich
Noch mein Antlitz wieder
Mit der Jugend toll ich fort
Auf des Lasters Wegen
Engelschöre singen dann
Gib mir deinen Segen
Diesen Zecher schlag o Herr
Seiner Strafe wegen

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